Den heutigen Tag hatten wir ganz entspannt geplant. Nur 10km Strecke. Das ist zwar eigentlich zu wenig, aber wir haben noch sehr viel Zeit. Und den Rest bis Prag in einem Rutsch zu fahren, erschien uns etwas zu viel. Hinzu kam, dass es hier auf der Moldau unseres Wissens nur eine einzige gute Übernachtungsmöglichkeit / Marina gibt.

Den Hinweis auf diese Marina erhielten wir von Urs, einem Schweizer Sportsfreund. Ihn lernten wir zu Pfingsten kennen, als wir mit dem Boot in Lovosice waren. Wir lagen dort gemeinsam in der Marina im Baggersee. Zusammen mit seiner Frau Liisa waren die beiden mit ihrem 13-m-Schiff „Tuulikki“ unter Schweizer Flagge auf dem Rückweg von Prag. Später besuchte ich sie noch einmal in Dresden, wo sie ebenfalls noch einmal Station machten.

Die beiden haben mit ihrem großartigen Schiff schon ganz Europa bereist, und stellen somit gewissermaßen ein unmittelbares Vorbild für uns dar… 🙂

Ich schrieb Urs während der Planung unserer Reise an, ob er mir ein paar Tipps für die Strecke geben könne. Ich erhielt prompt viele interessante Informationen, die uns die Fahrt deutlich gelassener angehen ließen.

Mit dem Wissen, heute nur sehr wenig Strecke zu absolvieren, frühstückten wir vor dem Ablegen am Steg. Gegen 8:00 Uhr trafen drei Mitarbeiter der „Povodni Vltava“ an der Liegenschaft ein und begannen ihre Arbeit, grüßten freundlich, nahmen aber keinerlei Anstoß an unserer Anwesenheit auf ihrem Betriebsgelände. Diese in Deutschland in dieser Form unvorstellbare Liegestelle fotografierten wir nach dem Ablegen noch.

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Anschließend verließen wir den Kanal und waren nun erstmalig wirklich auf der „richtigen“ Moldau. Die wenigen KM bis zur Schleuse Veltrusy absolvierten wir mit niedriger Drehzahl und leichtem Nieselregen.

Hatten wir uns in den letzten Tagen über zu wenig Schifffahrt beklagt, aber uns über regelmäßig sofortige Schleusungen gefreut, wurde es auf den wenigen Metern dort richtig spannend.

Dank AIS sahen wir, dass sich auf der anderen Seite der Schleuse ein Schubverband näherte. Damit war klar, dass wir warten mussten. Also machten wir gleich an einem riesigen Dalben fest.

Der Schubverband wurde geschleust, das Tor öffnete sich, und interessanterweise schaltete die Ampel bereits auf grün, als der Verband noch halb in der Schleuse steckte. Natürlich warteten wir trotzdem ab, da er sich noch in die Kurve und damit in unsere Richtung drehen musste.

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Dann legten wir ab und fuhren in Richtung Kammer. Währenddessen tauchte im AIS von achtern schon wieder ein Schubverband auf. Da in Schleusen die Berufsschifffahrt immer Vorrang hat, waren wir uns kurz unschlüssig, ob wir abbrechen sollten. Da der Schleusenwärter aber deutlich sichtbar auf der Brücke stand und keine Anstalten machte, uns am Einfahren zu hindern, fuhren wir weiter, denn die Kammer hat auch eine Ausbuchtung für kleinere Fahrzeuge. Der Große würde also auch neben uns passen.

Der Schleusenwärter bedeutete uns aber, dass er uns gern ganz vorn in der Kammer hätte, und nicht in der seitlichen Bucht für kleinere Fahrzeuge. Ui ui, wo doch vorne immer am meisten Schwall ist, dachten wir uns so, fuhren weisungsgemäß trotzdem ganz vor und vertäuten uns, als stünde ein Orkan bevor.

Der Schubverband fuhr daraufhin hinter uns ein. Und vertäute sich auch, als stünde ein Orkan bevor!

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Etwas aufgeregt und mit bangen Blicken nahmen wir unsere Positionen an den Leinen ein und warteten, aufs Schlimmste vorbereitet. Und dann passierte – eigentlich nichts. Das Wasser stieg, aber ohne sehr an uns zu zerren. Erleichterung machte sich breit.

Die nächste Herausforderung stand uns gleich bei der Ausfahrt aus der Schleuse bevor. Denn im AIS hatten wir gesehen, dass der nächste Schuber schon talwärts auf die Schleuse zufuhr. Rein rechnerisch wären er, der Verband hinter uns und wir uns an ein und derselben Stelle begegnet, daher schlugen wir nach der Ausfahrt einen Haken vor das Wehr (den sieht man sogar oben im GPS-Track) und ließen die beiden diese Begegnung unter sich ausmachen.

Frau kann es nicht mehr hören, wenn ich sage „AIS fetzt!“, aber heute war sie meiner Meinung… 🙂

Die Marina Vltava ist von der Schleuse aus schon zu sehen. Wir wählten einen Liegeplatz und meldeten uns an. 16 Euro inkl. Strom und 2x Duschen. Sehr schöner Steg, gute Infrastruktur. Von oben erwähntem Sportsfreund Urs habe ich noch ein schönes Wort gelernt: Offenbar nennt man im Schweizerischen eine Kneipe „Beize“ oder „Beiz“, das kannte ich noch nicht. Es hat bei der Lektüre seiner Hinweise bei mir zunächst etwas Verwirrung gestiftet. Mir war nicht so ganz klar, wie man aller paar KM eine „Schiffsbeize“ testen kann. Jetzt, wo ich die Bedeutung des Wortes verstanden habe, habe ich es liebevoll in meinen Wortschatz aufgenommen.

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Wir testeten also die Schiffsbeiz, vorher schauten wir uns noch den Ort an (Geburtsort von Dvorak!). Wir hatten ein zeitiges Abendessen geplant. Das Restaurant der Marina strotzt nur so von maritimer Deko, und deftiges Essen gibt es auch. Wir perfektionierten mit Hilfe der Kellnerin unseren Vokabelzettel. Nach dem Essen kamen wir mit dem Eehepaar am Nachbartisch ins Gespräch. Es stellte sich heraus, dass es die Betreiber der Marina waren, Kveta und Petr. Wir unterhielten uns den gesamten Abend. Das Paar hat eine riesige Yacht am Steg liegen, „Blue Whale“, mit der sie auch schon sehr weite Reisen gemacht haben. Wir erfuhren alles über die Strecke nach Prag. Und dann wurde es noch interessanter!

Kveta und Petr begannen nämlich, von der Strecke oberhalb Prags zu schwärmen. Wir ahnten langsam, dass Prag vielleicht gar nicht der Wendepunkt unserer Reise sein würde. Zwei Videofilme von Reisen der „Blue Whale“ und etliche Biere und Becherovkas später wurden wir leihweise mit einer hervorragenden Karte der Moldau, sogar in deutsch, und wirklich herzlichen Wünschen für unsere weitere Reise ausgestattet.

Wir haben also ein neues Ziel und müssen mal durchkalkulieren, was davon zu schaffen ist!

 

 

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